Unsere Schulen produzieren Lebensuntüchtige
- In Schulen wird weder Selbstständigkeit noch Durchsetzungsstärke gelehrt
- Die klassische humanistische Bildung braucht ein Update
- Wir brauchen einen neuen Bildungsbegriff, der Kinder befreit und ermächtigt
Nein, früher war nicht alles besser, auch nicht unsere Kinder. Zwar behauptet jede Generation von sich, sie sei die letzte gewesen, die noch eine anständige Bildung genossen habe und die überhaupt noch Anstand besitze, aber das beruht wohl mehr auf individuellen Erinnerungslücken als auf der Realität. Jeder, na ja fast jeder, hat in der Jugend ab und an über die Stränge geschlagen, fand Schule „scheiße“, und überhaupt waren andere Dinge viel interessanter als „Die Leiden des jungen Werther“ oder der Satz des Pythagoras. Und aus den meisten Jungrebellen ist doch was ganz Anständiges geworden. So weit, so gut. Also alles in Ordnung?
Nein, es ist nicht alles in Ordnung. Denn im Gegensatz zu früheren Generationen reicht der Fächerkanon der klassischen humanistischen Bildung im Korsett der allgemein verbindlichen Lehrpläne nicht mehr aus. Die Gesellschaft ändert sich schneller, als die von Bürokraten entwickelten Lehrpläne darauf reagieren können. Schon die Politik kann mit ihren Gesetzen nur noch reagieren. Zu schnell geht der technologische Fortschritt voran, ändern sich menschliche Bedürfnisse und gleichermaßen angebots- und nachfragegetriebene digitale Geschäftsmodelle. Ein schwerfälliges und zudem föderales System wie Schule steht da auf verlorenem Posten.
Wer heute zur Schule geht, droht verloren zu gehen
Es gilt, zu verhindern, dass unsere Schüler und Absolventen verloren gehen. Verloren in einer Wirtschaftskrise, unselbstständig im Handeln und unfähig, am notwendigen Diskurs teilzunehmen. Unsere Schulen entlassen im Gegensatz zu früher mehr wissende Konformisten als universalgebildete Persönlichkeiten. Das macht der Wirtschaft zu schaffen und irgendwann auch der Gesellschaft. Denn Erfolg, Karriere, gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Diskurs brauchen Individuen, die nicht nur für die Schule, sondern wirklich und wahrhaftig für das Leben lernen.
Schule vermittelt Wissen, aber sie bereitet nicht mehr auf das Leben vor – noch weniger als zu früheren Zeiten. Denn „das Leben“ ist fragmentierter, vielseitiger und komplexer geworden. Hierauf braucht es dringend Antworten. Längst unterscheidet sich in vielen Fällen die Wahrnehmung der Schüler von der der Lehrer. Das gab es immer, weil verschiedene Generationen natürlich andere Wahrnehmungen haben. Aber heute geht es um mehr. Die Medienkompetenz sei hier als Beispiel genannt: Die meisten Zwölfjährigen werden wohl in Sachen Internetnutzung der 55-jährigen Lehrerin etwas vormachen. Wer hat jetzt mehr Kompetenz? Diese Frage lässt auch Autoritäten schwinden und stellt schulisches Wissen zunehmend infrage.
Damit ich richtig verstanden werde: Allgemeinbildung ist wichtig. Alle schulischen Fächer sind wertvoll und wichtig. Schule leistet insgesamt eine sehr gute Arbeit. Die meisten Lehrer sind auch sehr engagiert und die meisten Schüler sind keine Bildungsverweigerer. In dieses Wehklagen möchte ich nicht einstimmen. Es wäre auch falsch.